Die Alster-Schwimmhalle in Hamburg (Hohenfelde, Sechslingspforte)
wurde ab 1963 geplant, ab 1968 gebaut und 1973 eingeweiht.
Sie stellt eine der ersten Realisierungen einer großen Dachfläche
als Hypar
-Fläche dar.
Die Dachfläche ist zusammengesetzt aus zwei Teilstücken eines
hyperbolischen Paraboloids (Hypar
); während der Umbauarbeiten 2021 konnte
man (wie damals beim Bau) die Form des Daches sehr gut erkennen
(siehe Bild 1, Bild 2
und Bild 31).
Über die Arbeiten informiert die Betreiberin Bäderland Hamburg GmbH auf der Seite www.baederland.de/baeder/standorte/alster-schwimmhalle/ (Stand November 2024) mit interessantem Material auch zur Baugeschichte, zur Umbauplanung, und zu Einzelheiten des Umbaus. Inzwischen ist das Bad wieder eröffnet.
Aus der Beschreibung auf einer Seite von schlaich bergermann partner:
Das komplette Dach [...] ist auf nur drei Punkten gelagert. Es
besteht aus zwei aneinander gelehnten Hypar-Spannbetonschalen, die
weit über die Fassade hinausragen. Entlang aller Schalenränder –
also auch entlang der mittleren Kehle – verdickt sich die nur
8 cm dünne Schale stetig und geht so kontinuierlich in die
dreieckigen Randträger über, die maximal 54 m von den Stützen
auskragen.
Mitte der 1960er Jahre war eine gleichmäßige Unterstützung der
Randträger mit dünnen Stützen üblich. Die Lösung bei diesem Projekt
bestand allerdings darin, die Schale selbst zur Lastabtragung der
Randträger heranzuziehen: Die Eigengewichtlasten bewirken
Membranschnittkräfte entlang der geraden Erzeugenden, welche am
gegenüberliegenden Rand in gleicher Höhe wieder abgenommen werden
müssen. Dies kann durch ein Seilsystem abstrahiert und ebenso
berechnet werden. So können sich gleich große Eigengewichtslasten
gegenüberliegender Ränder im Gleichgewicht halten.
[Siehe Das Hyparschalen-Dach des Hallenbades Hamburg Sechslingspforte]
Das Dach ist zusammengesetzt aus zwei zu einander spiegelbildlichen Ausschnitten aus einem hyperbolischen Paraboloid (siehe Bild 3).
Solch ein hyperbolisches Paraboloid enthält zwei Scharen von Geraden (siehe Bild 4).
Leonhardt und Schlaich beschreiben das Dach
mit den Worten
Von den je zwei Tief- und Hochpunkten der die Einzelschalen
berandenden windschiefen Vierecke sind die Tiefpunkte \(B\) beiden
Schalen gemeinsam; sie liegen mit den Tiefpunkten \(A\) und \(A'\) auf
derselben Höhe und bilden die drei Lagerpunkte der Gesamtschale.
[...]
Die Mittelfläche läßt sich als Regelfläche dadurch konstruieren,
daß zwei gegenüberliegende Ränder in gleich viele gleiche Teile
unterteilt und entsprechende Punkte durch Gerade, die Erzeugenden,
verbunden werden (s. Bild 4).
Dieser baupraktische Vorteil der Hypare
erlaubt bei kleinen Schalen das Einrüsten mit geraden Hölzern.
Er geht bei großen Schalen, wie der hier beschriebenen,
teilweise [...] verloren [...]
Die einfachste mathematische Beschreibung der Schalenmittelfläche
lautet \(z=k\cdot x\cdot y\). Darin steht die \(z\)-Achse
rechtwinklig auf dem schiefwinkligen Koordinatenkreuz \(x\), \(y\).
Die Richtung der \(z\)-Achse ist die Projektionsrichtung, in der das
berandende windschiefe Viereck \(ABCD\) als Parallelogramm erscheint.
Die \(x\)- und \(y\)-Achsen verlaufen in dieser Projektion parallel zu
den Rändern des Parallelogramms bzw. zu den Erzeugenden. Um die
Richtung der \(z\)-Achse, den Koordinatenursprung, den Winkel \(\omega\)
zwischen der \(x\)- und \(y\)-Achse und das Verwindungsmaß \(k\) zu
finden, wird nach Bild 4 verfahren [...]
— Im Längsschnitt, Bild 4c, ist die \(z\)-Achse parallel zur Verbindungslinie zwischen dem Mittelpunkt der Strecke \(CD\) und den hier
zusammenfallenden Tiefpunkten \(A\) und \(B\). Sie ist unter \(25^\circ \, 47’\)
gegen die Vertikale geneigt.
— Damit kann das Parallelogramm Bild 4d als Projektion der Schale
in \(z\)-Richtung konstruiert werden, aus dem der Winkel \(\omega = 77^\circ \, 27’\)
ablesbar ist.
— Der Koordinatenursprung wird im Scheitelpunkt der im Längsschnitt
Bild 4c tangential zu \(AC\) und \(AD\) in \(C\) und \(D\)
einmündenden Parabel ermittelt. Er liegt knapp neben dem Hochpunkt
\(C\).
Aus der Gleichung \(z = k \cdot x^2\) dieser Parabel folgt das
Verwindungsmaß \(k = - 0,01657 \, \mathrm{m}^{-1}\).
Die Gleichung der Mittelflächen
der beiden
Einzelschalen lautet
damit
\( z = - 0,01657 \cdot x \cdot y\).
Der wahre Winkel \(\alpha\) in jedem beliebigen Punkt \(x, y\) der
Schalenmittelfläche zwischen zwei sich schneidenden Erzeugenden kann
aus
\(\displaystyle
\cos\alpha = \frac{k^2\cdot x\cdot y +
\cos\omega}{\sqrt{(1+k^2x^2)(1+k^2y^2)}}\)
ermittelt werden und bewegt sich hier zwischen \(73^\circ \, 05’\) am Hochpunkt
\(C\), \(80^\circ \, 59’\) an den Tiefpunkten \(A\) und \(B\) und \(61^\circ \, 20’\)
am Hochpunkt \(D\).
Die Schalen sind entlang ihren geradlinigen Erzeugenden zweiachsig vorgespannt — hier wird die spezielle Geometrie des hyperbolischen Paraboloids konkret ausgenutzt.
Um die damals (1964) noch sehr schwierigen und neuartigen statischen Berechnungen für ein Dach dieser Form zu unterstützen, wurde am damaligen Institut für Modellstatik der Universitat Stuttgart ein Modell im Maßstab 3/80 aus Plexiglas hergestellt. Beim Bau der Holzform für dieses Modell wurden die beiden in der Fläche enthaltenen Geradenscharen wesentlich ausgenutzt, wie von Müller und Kayser unter Punkt 3 beschrieben:
Das Modell wurde auf einer Holzform aus Spanplatten angefertigt,
die in Richtung einer Erzeugenden hochkant auf einer ebenen
Grundplatte aufgestellt waren. Über diese Rippen wurden in
Richtung der anderen Erzeugenden dünne, schmale Holzstäbe
aufgenagelt. [...]
Die beiden Einzelschalen bestanden aus je vier Plexiglasstreifen von
3 mm Dicke, die in warmem Zustand auf der Holzschalung verformt und
anschließend beidseitig durch X-Nähte verklebt wurden.
Dieses Modell wurde auch für Versuche im Windkanal am Forschungsinstitut für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren der Universität Stuttgart verwendet.
Im
Youtube-Video von Bäderland Hamburg
kommt dieses Modell
zwischen 1:49
und 2:00 ins Bild.
Das Modell ist (Stand Februar 2022) noch erhalten
und im Eingangsbereich des Gebäudes
Pfaffenwaldring 7
in Stuttgart ausgestellt, siehe Bild 5.
Eine detaillierte Schilderung der Entstehung und des Einsatzes des Modells findet sich bei Müller und Kayser.
Einzelheiten der Bauausführung werden in einer Arbeit von Voßbein und Lehmitz geschildert.
Beim Bau der Verschalung wurden sowohl die im hyperbolischen Paraboloid enthaltenen Geraden als auch gewisse parabelförmige (vertikale) Schnitte ausgenutzt, wie die Bilder aus Voßbein und Lehmitz zeigen:
Bei Voßbein und Lehmitz findet man auch ein
historisches Luftbild der frei stehenden Dachschale
(siehe Bild 31)
— vor dem Beginn der Bauarbeiten
am herkömmlichen Bauteil:
Wegen eines zu erwartenden Einflusses der Setzung der Stütze \(B\)
auf die Setzung des benachbarten Sportbeckens erschien es geraten,
das Schalentragwerk vor dem herkömmlichen Bauteil fertigzustellen.
Die Abbildungen Bild 1 und Bild 2 sind Wikipedia entnommen (Zugriff am 7.2.2022); Autornachweise stehen direkt bei den Bildern.
Die Fotografien des Modells sind eigenes Werk des Autors (Februar 2022).
Die Abbildungen Bild 3
und Bild 4 sind entnommen aus
Leonhardt, Fritz und Schlaich, Jörg:
Das Hyparschalen-Dach des Hallenbades Hamburg Sechslingspforte.
Teil I: Entwurf und Tragverhalten.
Beton- und Stahlbetonbau 65(9) 1970, 207-217.
Müller, R. K., Kayser, R.: Das Hyparschalendach des Hallenbades Hamburg Sechslingspforte. Teil II: Modelluntersuchung. Beton und Stahlbetonbau 65(10) 1970, 245–249.
Die Abbildungen Bild 25, Bild 26
und Bild 31 sind entnommen aus
Voßbein, H.; Lehmitz, K.
Das Hyparschalen-Dach des Hallenbades Hamburg Sechslingspforte.
Teil III: Bauausführung.
Beton
und Stahlbetonbau 65(11) 1970, 261-264
(vgl. den Fotonachweis dort).
Vielen Dank an Prof. Dr. Manfred Bischoff für Hinweise auf das Bauwerk und die Herkunft das Modells sowie aufschlussreiche Gespräche über die Bedeutung der Geometrie für die Baustatik.