2.5. Die Regel von l’Hospital

Wir stellen eine Methode vor, mit der man viele Funktionsgrenzwerte der Form 00 oder bestimmen kann.

Dabei betrachten wir sowohl Grenzwerte an Stellen c im Innern eines Definitionsintervalls (a,b) als auch das Verhalten an den Rändern, und wir lassen auch a= oder b=+ zu.

2.5.1. Regel von l’Hospital.

Die reellwertigen Funktionen f und g seien definiert, stetig und differenzierbar in allen Punkten von (a,b) außer eventuell einem einzigen Punkt c.

Für alle x im Definitionsbereich sei g(x)0.

Wir betrachten die folgenden Fälle:

Aus der Existenz des Grenzwerts

folgt dann jeweils auch

Aus der Existenz von limf(x)g(x) folgt in diesen Fällen (  Na,  Nb,  Nc,  Ua,  Ub,  Uc ) also nicht nur die Konvergenz, sondern auch die Gleichheit der Grenzwerte limf(x)g(x)=limf(x)g(x).

Die Regel von l’Hospital lässt sich auch erweitern auf Probleme der Form „+“, „+“ oder „“:

Man kann ja einen Faktor „1“ vor den Grenzwert ziehen.

Auch in diesen Fällen folgt dann aus der Existenz des Grenzwerts limf(x)g(x) die Gleichheit limf(x)g(x)=limf(x)g(x).

2.5.2. Beispiel.

Der Grenzwert limx1x2+x2x21 ist von der Form „00

(genauer: es liegt Situation Nc mit c=1 vor).

Die Konvergenz limx1ddx(x2+x2)ddx(x21) =limx12x+12x =32 liefert nach der Regel von l’Hospital auch limx1x2+x2x21 =32.

Wir könnten diesen Grenzwert aber auch leicht durch Vereinfachung bestimmen:

x2+x2x21 =(x1)(x+2)(x1)(x+1) =(x+2)(x+1) x132.

2.5.3. Beispiel.

Auch der Grenzwert limx0ln(cosx)x ist von der Form „00“.
(es liegt Situation Nc mit c=0 vor).

Die Regel von l’Hospital führt uns auf

limx0ln(cosx)x =limx01cosx(sinx)1 =0.

2.5.4. Beispiel.

Mit limx01cos(3x)1cosx liegt noch einmal der Fall „00“ vor.

Die Regel von l’Hospital führt nicht unmittelbar zum Erfolg:

Auch limx0ddx(1cos(3x))ddx(1cosx) =limx03sin(3x)sinx ist von der Form „00“. Wir wenden das Verfahren noch einmal an:

limx0(ddx)2(1cos(3x))(ddx)2(1cosx) =limx0ddx(3sin(3x))ddx(sinx) =limx09cos(3x)cosx =9.

2.5.5. Beispiel.

Der Grenzwert limx+xnex ist von der Form „++“: genauer liegt Situation  U+ vor.

Die Regel von l’Hospital liefert wieder nicht sofort ein Ergebnis:

limx+ddx(xn)ddx(ex) =limx+nxn1ex

ist (für n>1) immer noch von der Form „++“.

Wir müssen das Verfahren n-mal anwenden (also zu n-ten Ableitungen übergehen):

limx+xnex= =limx+(ddx)n(xn)(ddx)n(ex) =limx+n!ex =0.

Dabei müssen wir nach jedem Schritt kontrollieren, ob immer noch eine der Situationen  Na,  Nb,  Nc,  Ua,  Ub oder  Uc vorliegt!

2.5.6. Bemerkung.

Mit Hilfe der Grenzwertsätze können wir 2.5.5 ausdehnen:

Ist p(x)PolR ein beliebiges Polynom, so gilt limx+p(x)ex=0.

Mit anderen Worten:
Die Exponentialfunktion wächst schließlich stärker als jedes Polynom.

2.5.7. Beispiel.

Der Grenzwert limx0+0xsinx ist von der Form „00“: es liegt Situation  Na für a=0 vor.

Wir berechnen limx0+0f(x)g(x) =limx0+012xcosx =+.

Die Regel von l’Hospital liefert also

limx0+0xsinx =+.

2.5.8. Beispiel.

Ausdrücke der Form „0(+)“ oder „0()“ lassen sich manchmal zurückführen auf Probleme, die mit der Regel von l’Hospital geklärt werden.

So ist etwa limx0+0(xlnx) =limx0+0lnx1x von der Form „“:

Mit f(x):=lnx und g(x):=1x berechnen wir limx0+0f(x)g(x) =limx0+01x1x2 =limx0+01xx21 =limx0+0(x) =0 und erhalten limx0+0(xlnx)=0.

2.5.9. Bemerkung.

Es gibt Quotienten von Funktionen, bei denen auch durch beliebig häufiges Ableiten von Zähler und Nenner kein Grenzwert festzustellen ist.

In solchen Fällen hilft die Regel von l’Hospital nicht weiter.

2.5.10. Bemerkung.

Die Regel von l'Hospital greift auch dann noch, wenn der Quotient der Ableitungen bestimmt divergent ist:

In der Situtation Nc folgt aus limxcf(x)g(x)=+ auch wieder limxcf(x)g(x)=+.

Man betrachtet zum Beweis einfach g(x)f(x) und g(x)f(x) statt f(x)g(x) und f(x)g(x).

Analoges gilt natürlich auch in den Situationen Na, Nb, Ua, Ub oder Uc und für bestimmte Divergenz gegen .

2.5.11. Satz.

Es sei f:(a,b]R stetig auf dem halboffenen Intervall (a,b] und differenzierbar an jeder Stelle x im offenen Intervall (a,b).

Wenn die Ableitungsfunktion f:(a,b)R stetig fortsetzbar in die Stelle b ist, dann ist f (einseitig) differenzierbar an der Stelle b, und es gilt f(b)=limxb0f(x).

Wir wenden den Satz von l'Hospital an auf den Differenzialquotienten:

Weil f an der Stelle b stetig ist, gilt limxb0f(x)f(b)=0.

Also ist die Frage nach limxb0f(x)f(b)xb ein Problem der Form 00, und die Regel von l'Hospital liefert

limxb0f(x)f(b)xb=limxb0f(x)1=limxb0f(x), wie behauptet.

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