2.2. Ableitungsregeln

2.2.1. Satz.

Die Funktionen f und g seien an der Stelle x0 differenzierbar.

Dann sind auch f+g und fg an der Stelle x0 differenzierbar, und es gilt:

  1. Summenregel:
    (f+g)(x0)=f(x0)+g(x0).
  2. Produktregel:
    (fg)(x0) =f(x0)g(x0)+f(x0)g(x0).

  3. Speziell für eine konstante Funktion g [also g(x)=0] angewandt, liefert die Produktregel:
  4. Für jede Konstante cR gilt (cf)(x0)=c(f(x0)).

  5. Gilt g(x0)0, so ist dies in einer Umgebung U von x0 erfüllt, und die Funktion
    fg:UR:xf(x)g(x) ist in x0 differenzierbar.
    Es gilt dann
  6. Quotientenregel:
    (fg)(x0) =f(x0)g(x0)f(x0)g(x0)g(x0)2.

2.2.2. Bemerkung.

Mit Hilfe der Summenregel, des Spezialfalls der Produktregel und des Resultats

ddxxn=nxn1

können wir beliebige Polynome ableiten:

ddxj=0najxj =0+j=1nddx(ajxj) =j=1nddx(ajxj) =j=1najddxxj =j=1njajxj1 =[k:=j1]k=0n1(k+1)ak+1xk.

2.2.3. Kettenregel.

Es sei g:IR differenzierbar an der Stelle x0I, und f:g(I)R differenzierbar an der Stelle g(x0).

Dann ist fg:IR differenzierbar an der Stelle x0, und es gilt:

(fg)(x0)=f(g(x0))g(x0).

Andere Schreibweise:
ddx00f(g(x))|x=x0 =(ddy00f(y)|y=g(x0))(ddx00g(x)|x=x0).

Man nennt f(g(x0)) die äußere Ableitung und g(x0) die innere Ableitung.

2.2.4. Merkspruch zur Kettenregel.

Die Ableitung einer Komposition ergibt sich als äußere Ableitung mal innere Ableitung.

2.2.5. Ableitungen von Standardfunktionen.

Die Ableitungen vieler gebräuchlicher Funktionen findet man in Tabellenwerken wie etwa dem von Bronstein.

Besonders fundamental sind:

f(x) xa ex ln|x| bx sinx cosx
ddxf(x) axa1 ex 1x (lnb)bx cosx sinx
DGL xf=af f=f xf=1 f=cf f=f

f(x) tanx arctanx sinhx=exex2 coshx
ddxf(x) 1(cosx)2 11+x2 coshx=ex+ex2 sinhx
DGL f=1+f2 f=f

Hier sind a und b reelle Konstanten mit a0, b>0 und c:=ln(b).

2.2.6. Bemerkung.

Die Funktionen in der Tabelle lösen die jeweils dazu angegebenen (recht grundlegenden) Differentialgleichungen.

Dies mag als weitere Rechtfertigung für die Auswahl dienen.

Im Weiteren berechnen wir die in der Tabelle aufgeführten Ableitungen, und zeigen, wie man mit Hilfe der Tabelle die Ableitungen weiterer Funktionen ermittelt.

Dabei werden wir die beiden fundamentalen Resultate über die Ableitungen ddxexpx=expx und ddxlnx=1x bis auf Weiteres ohne Beweis verwenden.

Wir erinnern an die Definition der allgemeinen Potenzen:

2.2.7. Definition.

Es seien a,bR mit b>0.

Man setzt ba:=ealnb=exp(aln(b)).

Daraus ergeben sich (mit Hilfe der Funktionalgleichung für die Exponentialfunktion, siehe 1.14.12) die Potenzgesetze:

ba+c=babc,

(ba)c=b(ac).

2.2.8. Bemerkung.

Man bevorzugt die Eulersche Zahl e als Basis für Potenzen, weil die Funktion xex mit ihrer eigenen Ableitung übereinstimmt.

2.2.9. Beispiel.

Es sei f:(0,+)R:xxa die Potenzfunktion.

Wir berechnen die Ableitung mit der Kettenregel:

ddxxa =ddxexp(alnx) =exp(alnx)ddx(alnx)

[wg. ddxexpx=expx]

=exp(alnx)addxlnx

=exp(alnx)a1x

=aexp(alnx)exp(lnx) =aexp(alnxlnx) =aexp((a1)lnx)

=axa1.

2.2.10. Beispiel.

Es sei f:RR:xbx mit b>0.

Wegen bx=exp(xlnb) erhalten wir:

f(x)=ddxexp(xlnb) =exp(xlnb)ddx(xlnb) =exp(xlnb)lnb =bxlnb.

2.2.11. Beispiel.

Die Ableitung von tan:(π2,π2)R:xsinxcosx bestimmen wir mit der Quotientenregel:

ddx(sinxcosx) =sinxcosxsinxcosx(cosx)2 =(cosx)2+(sinx)2(cosx)2 =1(cosx)2.

2.2.12. Beispiel.

Der Sinus hyperbolicus ist definiert als sinhx:=12(exex);

der Cosinus hyperbolicus als coshx:=12(ex+ex).

Was diese beiden Funktionen mit einer Hyperbel zu tun haben (also: warum die "hyperbolicus" heißen), finden Sie hier.

In der folgenden Skizze können Sie die Stellen a und b bewegen und verfolgen, wie sich (im linken Koordinatensystem) der Graph der Summe ex+ex und (im rechten Koordinatensystem) der Graph der Differenz exex entwickelt.

Im mittleren System sehen Sie dann die beiden Graphen mit angedeutet (punktiert); die Graphen von cosh(x) und sinh(x) ergeben sich durch Halbieren.

Man rechnet direkt nach:

ddxsinhx =12(ex(ex)) =coshx

und

ddxcoshx =12(ex+(ex)) =sinhx.

2.2.13. Beispiele.

Die Kettenregel liefert

Zweimalige Anwendung der Kettenregel:

2.2.14. Höhere Ableitungen.

So lange die Ableitungsfunktion jeweils wieder differenzierbar ist, kann man induktiv definieren:

f(n)(x):=ddxf(n1)(x),

man schreibt auch

(ddx)nf(x):=f(n)(x).

Dabei setzt man f(0):=f.

Man nennt f:IR stetig differenzierbar in I , wenn f differenzierbar und f stetig in I ist.

Die Funktion f heißt (mindestens) n-mal stetig differenzierbar in I , wenn die höheren Ableitungen f(j) für 0jn existieren und f(n) stetig ist.

Ist f für jedes nN mindestens n-mal stetig differenzierbar, so nennt man f beliebig oft differenzierbar
(manche nennen solche Funktionen auch unendlich oft differenzierbar).

2.2.15. Beispiel.

Wiederholtes Differenzieren liefert (für alle nN):

  1. (ddx)n(x2ex) =(x2+2nx+n(n1))ex.
  2. (ddx)nlnx =(1)n1(n1)!xn

    (hier ist x>0 angenommen).

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