1.6 Vollständigkeit, der Satz von Bolzano-Weierstraß

Bisher kennen wir nur wenige konkrete Beispiele konvergenter Folgen.

Die hervorragende Eignung des Körpers R für die Analysis beruht darauf, dass sehr viele reelle Folgen konvergieren.

Das liegt an der folgenden Grundeigenschaft von R:

1.6.1. Vollständigkeit der reellen Zahlen

Jede nicht leere, nach oben beschränkte Teilmenge MR besitzt in R eine kleinste obere Schranke.

Diese nennt man das Supremum von M, und bezeichnet sie mit supM.

Jede nicht leere, nach unten beschränkte Teilmenge MR besitzt in R eine größte untere Schranke.

Diese nennt man das Infimum von M, und bezeichnet sie mit infM}.

1.6.2 Definitionen

Gehört supM zur Menge M dazu, so nennt man supM auch das Maximum von M, und schreibt maxM.

Gehört infM zur Menge M dazu, so nennt man infM auch das Minimum von M, und schreibt minM.

1.6.3 Beispiel

Die Teilmenge M:={xQ|xQx2<5x2<5} von R ist beschränkt [etwa durch 3 nach oben und 3 nach unten].

Die kleinste obere Schranke für M ist supM=5. Dieses Supremum ist eine reelle, aber keine rationale Zahl!

Die Erweiterung der Menge der rationalen Zahlen zu R dient genau dazu, die Vollständigkeit zu sichern.

1.6.4 Definitionen

Es sei (an)nN eine Folge reeller Zahlen.

  1. Ist die Folge nach oben beschränkt, so schreibt man supnNan:=sup{an|annNnN}.
  2. Ist die Folge nach unten beschränkt, so schreibt man infnNan:=inf{an|annNnN}.

Warnung:

Im Allgemeinen gilt supnNanlimnan und infnNanlimnan.

Bei sup und inf wird stets die gesamte Folge betrachtet, für lim und lim sind nur Endstücke wirklich relevant.

1.6.5. Satz von Bolzano und Weierstraß

Jede monotone und beschränkte Folge in R ist konvergent.

Jede beschränkte Folge in R besitzt mindestens einen Häufungspunkt in R.

Wir beweisen die erste Aussage (die zweite kann man durch Auswahl einer geeigneten Teilfolge auf die erste zurückführen).

Wir können uns auf den Fall beschränken, dass eine monoton wachsende Folge (an)nN vorliegt (bei einer fallenden Folge (bn)nN können wir die steigende Folge (bn)nN betrachten &emdash; nach den Grenzwertsätzen 1.5.3 konvergiert ja (bn)nN genau dann, wenn (bn)nN konvergiert}).

Da die Folge nach oben beschränkt ist, existiert a:=supnNan (vgl. 1.6.1).

Wir werden zeigen, dass (an)nN gegen a konvergiert.

Sei ε>0.

Da a die kleinste obere Schranke für die Menge {an|annNnN} ist, gibt es (wenigstens) eine natürliche Zahl j so, dass aε<aj gilt [sonst wäre aε eine kleinere obere Schranke als a].

Das bedeutet aaj<ε.

Wegen der Monotonie der Folge gilt nun k>j:aakaaj<ε.

Weil a eine obere Schranke für die Folge ist, gilt aak0.

Wir können also ohne Schaden für die Ungleichung zum Betrag übergehen.

Mit anderen Worten: k>j:|aak|=aak<ε.

Damit ist gezeigt, dass die Folge (an)nN gegen a konvergiert.

1.6.6. Beispiel

Die divergente Folge (n)nN ist zwar monoton, aber nicht beschränkt:

Eine der Voraussetzungen des Satzes von Bolzano und Weierstraß ist also nicht erfüllt.

Weder limnn=+ noch limnn=+ liegen in R.

1.6.7. Beispiel

Die divergente Folge ((1)n)nN ist beschränkt, aber nicht monoton:

Die Monotonie-Voraussetzung des Satzes von Bolzano und Weierstraß ist nicht erfüllt, aber es existieren (reelle) Häufungspunkte:

Es gilt limn(1)n=1 und limn(1)n=1.

Jede konvergente Folge ist beschränkt, braucht aber nicht monoton zu sein:

1.6.8. Beispiel

Die Folge ((1)n1n)nN ist konvergent, aber nicht monoton.

1.6.9. Bemerkung

Auch für limnxn und limnxn betrachtet man uneigentliche Werte (also ±):

Wir haben in 1.4.11 gesehen, dass etwa limnxn=+ bedeutet, dass eine bestimmt divergente Teilfolge existiert, die über alle Grenzen hinaus wächst.

Dies wird bei einer beschränkten Folge nie passieren: Die in 1.6.5 garantierten Häufungspunkte sind eigentliche (also reelle) Häufungspunkte!

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